Welttag der Ozeane: Marine Biodiversität für zukünftige Generationen erhalten (Pressemitteilung am 7.6.2022)

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Pressemitteilung
07. Juni 2022

[Wien, 07.06.2022] Morgen, am 8. Juni 2022 findet der Welttag der Ozeane statt. Er soll auf die dramatischen Zustände im Meer hinweisen und Aufmerksamkeit für die negativen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die biologische Vielfalt und marine Ökosysteme schaffen. Aus diesem Anlass zeigt die Politikwissenschafterin Alice Vadrot von der Uni Wien politische Herausforderungen auf, vor denen der internationale Meeresschutz steht. In der Debatte gerate häufig aus dem Blick, dass keine politische Einigkeit darüber herrscht, wie genau der internationale Meeresschutz aussehen soll und auf welche verbindlichen Ziele und Maßnahmen man sich einigen kann. Die Kluft zwischen Staaten des globalen Nordens und des globalen Südens in der Frage, wer für den Schutz der marinen Biodiversität verantwortlich ist, wer dafür zahlt und wie er umgesetzt werden soll, könnte größer nicht sein. Gestritten wird vor allem darum, wem marine Biodiversität eigentlich gehört und wer von ihr profitiert. Seit der Einführung des Welttags der Ozeane im Rahmen des Erdgipfels der Vereinten Nationen im Jahr 1992, hat sich daran wenig geändert.

Wissenschaftliche Fakten und fehlendes Wissen

Was sich sehr wohl verändert hat: Wir wissen heute viel mehr über die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf den Zustand der Meere. Diese haben bereits 40% der Meeresoberfläche verändert, „tote Zonen“ im Meer geschaffen, und den Bestand an lebenden Korallen in den letzten 150 Jahren fast halbiert.[1] Aus diesem Grund lancierte die UN 2021 eine Dekade der Meeresforschung für nachhaltige Entwicklung. Ziel der Maßnahme ist es, Fakten gesammelt an die Politik heranzutragen. Gleichzeitig betont die UN, dass wir nicht managen können, was wir nicht verstehen, und dass viele Aspekte des Ozeans ein Rätsel bleiben. Bis heute seien nur 19 % des Meeresbodens kartiert. Große Bereiche der Tiefsee und der Polarregionen würden jeglichen Wissens über die Verteilung von Arten, Ökosystemen, Meeresprozessen und Stressfaktoren entbehren.[2]

Der doppelte Appell, der von der UN-Dekade ausgeht – also einerseits an die Wissenschaft, Wissenslücken zu schließen und sich stärker in die Politikgestaltung einzubringen und andererseits an die Politik, Meeresforschung zu fördern und ihr zuzuhören – berge Alice Vadrot zufolge allerdings die Gefahr, dass politische Entscheidungen aufgeschoben werden und dass Nicht-Handeln mit dem Verweis auf fehlendes Wissen gerechtfertigt wird. Doch: „Noch länger abzuwarten wäre fatal“, so die Politikwissenschafterin, die an der Uni Wien ein vom Europäischen Forschungsrat finanziertes Forschungsprojekt[3] zur internationalen politischen Regulierung mariner Biodiversität leitet. Derzeit seien nur 7,44% der Ozeane geschützt[4] und es fehlen klare internationale Regeln für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der marinen Biodiversität. „Dies gilt insbesondere für die Hohe See, die 64% der Ozeane ausmacht, oftmals als rechtsfreier Raum interpretiert und ohne rechtliche Folgen ausgebeutet und verschmutzt wird.“, stellt Vadrot fest und mahnt: „Die Fakten sowie die Lösungen sind eigentlich da, wie die vielen wissenschaftlichen Berichte und Forderungen zeigen. Nun muss die Politik endlich handeln und tatsächlich wirksame Verträge und Regeln zum Schutz der Ozeane und ihrer Biodiversität durchsetzen.“

Ein neues Abkommen zum Erhalt der marinen Biodiversität in der Hohen See

Vor diesem Hintergrund und von der breiten Öffentlichkeit fast unbemerkt verhandeln seit 2018 Mitglieder der Vereinten Nationen ein neues rechtlich bindendes Abkommen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der marinen Biodiversität in internationalen Gewässern[5]. Von 15. bis 26. August 2022 versammeln sich RegierungsvertreterInnen zum fünften Mal im UN-Hauptquartier in New York, um eine Einigung zu erzielen. Viele NGOs sehen darin die letzte Chance, um Staaten zur Etablierung von Meeresschutzgebieten und zur Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen zu verpflichten. Allerdings: „Mit dem zukünftigen Abkommen sollen aber nicht nur neue Instrumente geschaffen werden, um die marine Biodiversität in der Hohen See zu erhalten und nachhaltig zu nutzen. Es werden auch die Bedingungen für die kommerzielle Nutzung mariner genetischer Ressourcen verhandelt sowie der Kapazitätsaufbau und Austausch von Meerestechnologie“, so Vadrot.

Nord-Süd-Konflikt

Im Kern geht es in den Verhandlungen – so die Hypothese des genannten Forschungsprojekts – um die ungleiche Verteilung der wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten marine Biodiversität abzubilden und wirtschaftlich zu verwerten. „Durch eine Auswertung der wissenschaftlichen Literatur konnten wir zeigen, dass sich das wissenschaftliche Wissen und die Möglichkeiten zu internationaler Kooperation auf wenige reiche Länder konzentriert“, gibt Vadrot zu bedenken. So verfügen vor allem die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan und Südkorea über die nötigen Infrastrukturen und wissenschaftlichen Daten, die es braucht, um etwa Meeresschutzgebiete zu verwalten und Umweltverträglichkeitsprüfungen durchzuführen.

Die Kluft zwischen Staaten des globalen Nordens und Südens verlaufe allerdings nicht nur entlang der ungleichen Verteilung von Meerestechnologie und Wissen. Gestritten werde auch um die ungleiche Verteilung wirtschaftlicher Möglichkeiten, die sich daraus ergeben: Seit 2008 hat die Privatisierung mariner Biodiversität stark zugenommen. So ist die Zahl der Patente an genetischen Ressourcen aus der hohen See seither stark angestiegen[6]. „Die Freiheit der Forschung, die in internationalen Gewässern gilt, erleichtert den Zugriff zu diesen Ressourcen, führt aber dazu, dass sich viele Staaten von der Nutzung und daraus resultierenden Gewinnen an einem Allgemeingut ausgeschlossen fühlen“, so Vadrot. Ihre Forschungen zeigen, dass unterschiedliche Vorstellungen darüber vorherrschen, wem marine Biodiversität in der hohen See eigentlich gehört: „Während viele Staaten des globalen Südens die Biodiversität der Meere als Allgemeingut betrachten, von welchem eine Handvoll reicher Staaten überproportional profitiert, geht es vielen Staaten des globalen Nordens darum, ihre Meeresforschung und Industrie vor neuen Regulierungen schützen“, so die Politikwissenschafterin weiter.[7]

Marine Biodiversität als Allgemeingut für zukünftige Generationen erhalten

Sichtbar wird dieser Konflikt Vadrot zufolge in den Verhandlungen darum, ob das Meer nach dem völkerrechtlichen Prinzip des „Gemeinsamen Erbes der Menschheit“ betrachtet werden soll: „Bleibt das Prinzip im Verhandlungstext, könnte es den Zugang und die Nutzung mariner Biodiversität nachhaltig und zugunsten des globalen Südens verändern. Gelingt es den USA, der EU, Japan, Südkorea und anderen Gegnern dies zu verhindern, müssen sie diesen Staaten etwas anderes anbieten, um der aktuelle Schieflage zu begegnen- etwa konkrete Zugeständnisse im Transfer von Meerestechnologie an den globalen Süden“.

Die aktuellen Entwicklungen zeigen für Vadrot vor allem eines: „Über den Erhalt der marinen Biodiversität können wir nur sprechen, wenn wir ökonomische Zwänge und Interessen mitberücksichtigen und auch die historisch gewachsenen Ungleichheiten zwischen Staaten des Globalen Nordens und Südens anerkennen.“ Marine Biodiversität müsse zwar als „Gemeinsames Erbe der Menschheit“ anerkannt werden. „Hierbei sollte es aber nicht nur um eine gerechte Verteilung der Gewinne zwischen Staaten im Hier und Jetzt gehen. Vielmehr muss der Erhalt der marinen Biodiversität für zukünftige Generationen im Vordergrund stehen“, gibt Vadrot abschließend zu bedenken.

Literatur und andere Referenzen

Tolochko, Petro and Vadrot, Alice B.M. 2021: Selective world-building: Collaboration and regional specificities in the marine biodiversity field. Environmental Science & Policy 126: 79-89.

Vadrot, Alice B.M. Langlet, Arne. Tessnow-von Wysocki, Ina. 2021. Who owns marine biodiversity? Contesting the world order through the `common heritage of humankind´ principleEnvironmental Politics 31 (2): 226-250.

Vadrot, Alice B.M. Langlet, Arne. Tessnow-von Wysocki, Ina. Tolochko, Petro. Brogat, Emmanuelle. and Ruiz-Rodríguez, Silvia C. 2021. Marine Biodiversity Negotiations During COVID-19: A New Role for Digital Diplomacy?. Global Environmental Politics 21 (3): 169–186.

Tolochko, Petro. and Vadrot, Alice B.M. 2021. The usual suspects? Distribution of collaboration capital in marine biodiversity research. Marine Policy 124: 104318.

Vadrot, Alice B.M. 2020. Multilateralism as a ‘site’ of struggle over environmental knowledge: the North-South divide. Critical Policy Studies 14(2): 233-245.

[1] https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000379465

[2] https://www.oceandecade.org/

[3] https://www.maripoldata.eu/

[4] https://www.iucn.org/theme/marine-and-polar

[5] https://www.un.org/bbnj/

[6] https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.aar5237

[7] https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/09644016.2021.1911442