Teuerung: Niedriglöhne und Armutsrisiken machen Gesellschaft wenig widerstandsfähig (Presseaussendung 04.04.2022)

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Pressemitteilung 04. April 2022                              

Teuerung: Niedriglöhne und Armutsrisiken machen Gesellschaft wenig widerstandsfähig

Warum Ungleichheit und Armut aus dem toten Winkel der Inflationsdebatte gerückt werden müssen

Preise für Energie, Wohnen und Lebensmittel steigen sprunghaft. Österreich ist auch wegen verbreiteter Niedriglöhne und Armutsgefährdung schlecht für eine solche Situation gerüstet, argumentiert Nina-Sophie Fritsch von der Wirtschaftsuniversität Wien. Derzeit wird über einen Teuerungsausgleich debattiert, aber das Grundproblem der großen Ungleichheit bei den Einkommen und der Hundertausenden Niedriglohnjobs kaum angesprochen. Aber gerade diese bewirken, dass Teuerungssprünge zu existentiellen Problemen führen. ___________________________________________________________________

[Wien, 04.04.2022] Durch den Angriffskrieg auf die Ukraine steigen nicht nur die Spritpreise an der Tankstelle rasant an, sondern auch die Heizkosten dürften für viele Haushalte in Österreich so hoch wie noch nie sein. Die steigenden Energiepreise befeuern auch die Inflation, die zuletzt bei knapp unter 7 Prozent lag. Wir können auch davon ausgehen, dass Lebensmittelpreise demnächst ansteigen. Nicht nur weil die Energiepreise für ihre Erzeugung angestiegen sind, sondern auch weil die Ukraine als Kornkammer Europas als einer der wichtigsten Getreidelieferanten nicht oder nur eingeschränkt ins Ausland exportieren kann. Zuletzt sind auch die Richtwerte für die Mieten gestiegen.

Diese Entwicklungen werden in Österreich in den letzten Wochen heftig diskutiert und parteipolitisch unterschiedlich bewertet. Während die einen fordern, die CO2-Bepreisung zu verschieben, um Treibstoff und Heizen nicht noch teurer zu machen, setzen die anderen auf die Erhöhung des Klimabonus, um die Mehrausgaben durch die CO2-Steuern abzumildern. Zuletzt wurde der Energiekosten-Gutschein heftig kritisiert, der zwar an alle Haushalte in Österreich verschickt wird, aber nur von den Anspruchsberechtigten auch eingelöst werden darf. Ob sie anspruchsberechtigt sind, müssen die EmpfängerInnen des Gutscheins selbst beurteilen.

„Viel zu wenig wird diskutiert, wie die Gesellschaft aufgestellt ist, um solche Teuerungssprünge zu bewältigen“, betont Nina-Sophie Fritsch, die an der Wirtschaftsuniversität Wien und an der Universität in Potsdam zu Fragen sozialer Ungleichheit, Geschlecht und Arbeitsmarkt forscht. Selbstverständlich trifft die Teuerung besonders jene, die ohnehin schon nicht oder schwer über die Runden kommen.

In Österreich trifft die Teuerung besonders Personen, die niedrige Einkommen beziehen, trotz Job mit ihrem Einkommen unter der Armutsgrenze liegen (also Working Poor sind), die arbeitslos oder von Sozialleistungen abhängig sind. In Österreich waren laut Statistik Austria schon vor der COVID-19 Pandemie 14 Prozent bzw. 1.222.000 Personen armutsgefährdet. Ein erhöhtes Risiko, unter die Armutsgrenze zu fallen, haben Frauen, Ein-Elternhaushalte, kinderreiche Familien, atypisch Beschäftigte, Personen mit Pflichtschulabschluss oder Personen mit Migrationshintergrund. Einen Job zu haben, schützt nicht immer vor Armut: Nicht weniger als 15 Prozent der Beschäftigten beziehen laut Statistik Austria Niedriglöhne. Von den Frauen arbeiten sogar 22 Prozent, also mehr als jede Fünfte, in einem Niedriglohnjob. Interessanterweise werden die geschlechtsspezifischen Unterschiede in den Niedriglohnrisiken in den letzten Jahren geringer – allerdings nicht, weil sich die Situation von Frauen verbessert hätte, sondern weil sich die der Männer verschlechtert. Darüber hinaus sind bestimmte Berufsgruppen und Branchen besonders gefährdet: z.B. sind die Niedriglohnrisiken in der Gastronomie und in Beherbergungsstätten mehr als doppelt so hoch.

Gleichzeitig weisen alle Untersuchungen, die sich aktuell mit den Auswirkungen der Pandemie beschäftigen (z.B. Austrian Corona Panel Project) darauf hin, dass der finanzielle Druck auf die Haushalte vor allem durch Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit in den letzten zwei Jahren rasant ansteigt und einzelne Berufsgruppen (z.B. in der Gastronomie oder in personenbezogenen Dienstleistungen) besonders betroffen sind. Gerade bei diesen sind Niedriglöhne und „Armut trotz Arbeit“ häufig anzutreffen.

„Aus diesem Grund sollte in der öffentlichen Debatte stärker betont werden, dass Armutsrisiken, Niedriglohn oder auch die Risiken, trotz Erwerbstätigkeit in Armut zu geraten, durch die Teuerungen nochmal schwerer wiegen“, so Fritsch. Zudem sei zu bedenken, dass sich diese Armutsrisiken auch auf die Pensionen auswirken und die soziale Teilhabe nachhaltig beinträchtigen. „Wir haben schon vor der Pandemie und dem Ukraine-Krieg eine wachsende Ungleichheit und ein Schrumpfen der Mittelschicht festgestellt“, so die Wissenschafterin. Plausibel scheint es daher auch, dass die aktuelle Teuerung den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Österreich belastet und die Ungleichheit weiter vorantreibt. Es gilt daher, nicht nur generelle Teuerungsausgleiche zu diskutieren, sondern die Gesellschaft dadurch widerstandsfähiger zu machen, dass jetzt auch bei Niedriglöhnen und Armutsrisiken angesetzt wird.