MAN-Steyr: Wissenschafter*innen für seriöse und breite Debatte

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Pressemitteilung
4. Mai 2021

Die angekündigte Schließung des MAN-Werks in Steyr hätte massive nachteilige Auswirkungen auf die Wirtschaft und auf den Arbeitsmarkt der Region. Laut einer Studie des WIFO sind 5.900 Arbeitsplätze direkt und indirekt betroffen. In der Debatte dazu werden nicht alle industrie- und wirtschaftspolitischen Optionen unvoreingenommen und ernsthaft geprüft, wodurch Chancen auf eine Rettung der Arbeitsplätze ungenutzt bleiben.

Staatsbeteiligungen können sinnvoll sein
Zu Vorschlägen einer Staatsbeteiligung war sowohl aus der Politik als auch von einzelnen Wissenschafter*innen spontane Ablehnung zu hören. Diese scheint jedoch eher einem ideologischen Reflex gegen „Verstaatlichung“ zu folgen als einer fundierten Abschätzung der Vor- und Nachteile eines solchen Lösungsansatzes. In der Vergangenheit waren Auffanglösungen nämlich teils recht erfolgreich.

Beispielsweise wurde die Schraubenfabrik Schmidt in Hainfeld (NÖ) in den 1990er Jahren durch die GBI (Gesellschaft des Bundes für Industriebeteiligungen), also einer temporären Staatsbeteiligung, vor der drohenden Schließung gerettet. Heute steht die Schraubenfabrik wieder in Privateigentum, nämlich der Kellner & Kunz AG. Daraus lassen sich laut Christian Bellak, Professor für Volkswirtschaftslehre an der WU Wien, folgende Schlüsse ziehen: „Wäre die Schraubenfabrik damals nicht temporär unterstützt worden, gäbe es in einem strukturschwachen Gebiet Niederösterreichs keine industrielle Schraubenproduktion mehr – mit entsprechendem Effekt für die Arbeitsplätze.“ Für ihn ist Staatsbeteiligung nicht gleich Verstaatlichung, da Staatsbeteiligungen auch vorübergehend sinnvoll sein können. Dabei müsse man den kurzfristig anfallenden Kosten die langfristigen Erträge in Form von Beschäftigungs- und Wertschöpfungseffekten gegenüberstellen. Es sollten klare, nachvollziehbare und überprüfbare Kriterien festgelegt werden. „Bis hin zu Kriterien für einen Ausstieg des Staates, um Platz für weitere temporäre Staatsbeteiligungen zu machen“, so Bellak.

Auch der Sozioökonom Jakob Kapeller, Professor an der Universität Duisburg-Essen, sieht viele Spielräume für staatliches Handeln. Das beginnt schon bei den Bedingungen des internationalen Handels. „Die Politik kann überlegen, wie internationaler Handel organisiert sein muss, damit er sich nicht in global flexibles Lohndumping verwandelt. Sie kann überlegen, wie sie den Anspruch der Beschäftigten auf eine Standortgarantie in Gegenwart und Zukunft stärken und absichern kann. Und schließlich kann die Politik sich darauf vorbereiten, im Krisenfall die Zügel selbst in die Hand zu nehmen, anstatt dem Aus eines hundertjährigen Traditionsbetriebs tatenlos zuzusehen“, führt Kapeller aus.

Standort nicht krankreden
Wie in den Medien berichtet wurde, hatte der künftige Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts, Gabriel Felbermayr, gemeint, dass private Investoren Schlange stehen würden, wenn sich mit dem Werk Geld verdienen ließe. Das lässt Christian Bellak so nicht stehen. Aus der Perspektive der Industrieökonomie darf der Standort Steyr nicht isoliert vom Gesamtkonzern gesehen werden. „Ob der Standort profitabel ist oder nicht, lässt sich nicht auf der Betriebsebene entscheiden, sondern muss im Gesamtzusammenhang eines Konzerns gesehen werden.“ Ein solcher habe nämlich umfangreiche Gestaltungsspielräume – von den Investitionen, über die Einwerbung von Förderungen bis dahin, Betriebe auszuhöhlen und letztlich in den Konkurs zu führen, meint Bellak. Und wenn der Standort nicht mittel- und langfristig profitabel sein könnte, würde sich der Investor Siegfried Wolf nicht darum bemühen.

Reine Auffanglösungen haben aber auch ihre Grenzen. Die Nutzfahrzeugindustrie ist eine hochgradig konzentrierte Branche mit wenigen internationalen Playern. Einzelne Werke müssen in die Produktions- und Serviceketten der Konzerne eingebunden sein, damit sie längerfristige Perspektiven haben. Deshalb sieht der Ökonom Stephan Schulmeister für MAN-Steyr nur innerhalb des VW-Konzerns eine Zukunft und nicht als eigene LKW-Firma. Dafür müsste aber großer Druck auf VW ausgeübt werden, was nur mit der Regierung möglich sei. „Ein anderer Weg wäre, das Know-how in Steyr für Innovationen auf dem Gebiet des ökologischen Güterverkehrs zu nützen, indem man einen anderen Konzern dafür gewinnt, etwa aus Asien, der an einem EU-Standort interessiert ist“, so Schulmeister. Er sieht insbesondere in der Entwicklung und Produktion von Lkws mit Brennstoffzellen-Elektroantrieb eine große Chance, da diese Fahrzeuge für den Übergang zu einem ökologischen Güterverkehr unverzichtbar seien: „Hyundai hat bereits solche Lkws entwickelt und in kleiner Zahl auch nach Europa geliefert, besitzt aber keine Produktion in der EU. Bei entsprechender Förderung könnte eine Ansiedlung in Steyr für Hyundai (oder andere bedeutende Lkw-Produzenten) höchst attraktiv sein, nicht zuletzt wegen des lokalen Know-how in der Lkw-Produktion.“

Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise
Die Klimaziele könnten weitere Optionen für MAN-Steyr bieten, die es ernsthaft zu prüfen gilt. Häufig wird mit dem Verweis auf einen Fachkräftemangel gegen rasche Schritte in der Energie- und Mobilitätswende argumentiert.

Die sehr große Zahl an Fachkräften bei MAN-Steyr und weiteren betroffenen Betrieben in der Region, deren Arbeitsplätze nun auf einen Schlag unsicher geworden sind, kann so gesehen auch als Chance für die Beschleunigung der ökologischen Transformation begriffen werden. Man sollte in Form von Machbarkeitsstudien seriös prüfen, wie den vielen Fachkräften im Zuge der Energie- und Mobilitätswende sinnvolle, sichere und gut bezahlte Arbeit angeboten werden kann. Universitätsprofessorin Sigrid Stagl, Leiterin des Instituts für Ecological Economics an der Wirtschaftsuniversität Wien, meint dazu: Die Klimakrise erfordert die Dekarbonisierung der Produktions- und Lebensweise, in Österreich und weltweit. Das führt zu Herausforderungen für manche Sektoren und neuen Gelegenheiten für andere.“ Sie ist überzeugt, dass dieser Wandel besser gelingt, wenn er von der Politik unterstützt wird, und meint: „Die Standort-, Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik müssen Klima- und Umweltthemen ebenso im Blick haben, wie die Gesundheits- und Landwirtschaftspolitik.“

Arbeitsmarktpolitik gefordert
Die Arbeitsmarktpolitik darf nicht erst dann eingreifen, wenn Personen bereits erwerbsarbeitslos geworden sind, meint Jörg Flecker, Universitätsprofessor und Arbeitssoziologe an der Universität Wien. Die deutliche Zunahme verfestigter Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren zeigt, dass es für einen großen Teil der Betroffenen noch schwerer wird, aus Arbeitslosigkeit in Beschäftigung zurückzukehren. „Die Arbeitsmarktforschung hat gezeigt, dass es für alle Seiten besser ist, Personen in Beschäftigung zu halten, als den Umweg über die Arbeitslosigkeit zu gehen und erst dann mit Maßnahmen anzusetzen“, betont Flecker. Es liegt für ihn auf der Hand, dass MAN-Steyr, entsprechende Ergebnisse von Machbarkeitsstudien vorausgesetzt, zu einem Modellprojekt für die Energie- und Mobilitätswende werden könnte, falls die Eigentümer den Standort tatsächlich aufgeben sollten. Auch das spricht für eine staatliche Beteiligung, weil dadurch die Handlungsfähigkeit der Politik gestärkt wird, was zu rascheren Lösungen führen kann. „Zur aktiven Arbeitsmarktpolitik gehört seit den 1980er Jahren auch, Betriebe weiterzuführen und so die Arbeitsplätze zu sichern“, betont Flecker. Und das ist angesichts der Dringlichkeit, sowohl bei der Sicherung der Arbeitsplätze, als auch in der Klimapolitik, ein gewichtiges Argument.