Thema Arbeit: Wer trägt das Risiko in der neuen Arbeitswelt?

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Pressemitteilung
Wien, 28. April 2020

Ist die Zukunft der Arbeit von einem flexiblen Arbeitsmarkt und der „Gig Economy“ geprägt? Die aktuellen Erfahrungen aus der Coronavirus-Krise lassen Zweifel daran aufkommen. Das Risiko von Umsatzausfällen kann nämlich nicht dauerhaft den Arbeitskräften überlassen werden. Schließlich können es diese am wenigsten tragen.

Die Sozialwissenschafter*innen Jörg Flecker und Stefanie Wöhl weisen auf die in Corona-Krise deutlich werdende hohe soziale Verwundbarkeit von bestimmten Beschäftigtengruppen in einem flexiblen Arbeitsmarkt hin. Daraus sollten Lehren für die Zukunft im Sinne von höherer Stabilität der Wirtschaft und von Armutsvermeidung gezogen werden.

Abwälzung des Risikos –Outsourcing und Gig Economy
Die Arbeitswelt der Zukunft wird von den Folgen der Coronavirus-Krise und von den Erfahrungen geprägt sein, die man aus ihr zieht. Dabei geht es nicht zuletzt um die Frage, wer das Risiko von Umsatzausfällen oder -einbußen trägt. In den letzten Jahrzehnten haben insbesondere Großunternehmen das wirtschaftliche Risiko zunehmend auf Kleinbetriebe und Arbeitende übertragen. „Vielfach bekommen nicht mehr die Großunternehmen selbst, sondern Zulieferfirmen, externe Dienstleister, Subauftragnehmer*innen und Selbständige bzw. Scheinselbständige die Umsatzausfälle am stärksten zu spüren“, argumentiert der Soziologe Jörg Flecker von der Universität Wien. In letzter Zeit erhoben „Gig Economy“ und „Plattformwirtschaft“ die Weitergabe des Risikos sogar zu ihrem Geschäftsmodell. Ob es sich um Pächter*innen oder Franchise-Nehmer*innen von Café-oder Bäckereiketten, um Arbeitende in der Event-Branche, um Ein-Personen-Unternehmer*innen wie 24-Stunden-Betreuer*innen, Fahrer*innen bei Uber oder Paket-und Essenszusteller*innen handelt –„das wirtschaftliche Risiko schlägt bei jenen auf, die es am wenigsten tragen können“, so Flecker.

Ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse
Sind die Arbeitenden nicht angestellt, sondern formal selbständig, gibt es für sie weder Krankenstand noch Urlaub. Nur wenige können es sich leisten, wegen einer leichten Erkrankung nicht zu arbeiten. Wenn Wohnungsmieten, Energierechnungen, Einkäufe und eventuell Leasingraten für ein Fahrzeug sonst nicht bezahlt werden können, ist man sogar gezwungen, die Aufforderung nach „Selbstisolation“ zu übergehen. Nur bei den 24-Stunden-EPU’s macht man derzeit aus Ansteckungsgründen Ausnahmen, wie die Politikwissenschafterin Stefanie Wöhl, Professorin an der Fachhochschule des BFI, betont. Sie werden auch aus dem Ausland eingeflogen und sind 14 Tage in Quarantäne, ohne Bezahlung, bevor sie ihre Arbeit aufnehmen.

Lehren für die Zukunft–reguläre Beschäftigung ausweiten
Es wäre deshalb naheliegend, bei den aktuellen Staatshilfen für Großunternehmen zunächst zu prüfen, wen im konkreten Fall der Schaden durch die Coronavirus-Maßnahmen tatsächlich trifft. Für die Zukunft sind aus den Erfahrungen Lehren zu ziehen und im Sinne von höherer Stabilität der Wirtschaftund von Armutsvermeidung die Regeln, wer als Arbeitnehmer*in gilt, entsprechend anzupassen, um allen Versicherungsschutz und Unterstützung durch Kurzarbeit zu bieten.Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten: In Österreich sieht die Generalunternehmerhaftung etwa im Bauwesen vor, dass die beauftragende Firma verantwortlich für die Anmeldung der Beschäftigten ihrer Subauftragnehmer bei der Krankenkassa ist. Und im Hinblick auf Uber, Lyft und andere Fahrdienstleister, die mittels Apps und Internetplattformen operieren, hat das Oberste Gericht in Kalifornien entschieden, dass die Fahrer*innen als reguläre Arbeitnehmer*innen zu behandeln und entsprechend nach den Mindestlohnbestimmungen zu bezahlen sind. Die ebenso einfache wie überzeugende Begründung: Das Geschäftsmodell dieser Firmen stützt sich auf die Arbeit anderer, also sind diese anderen ihre Arbeitnehmer*innen.

Risikominderung in der Pflege
Stefanie Wöhl zeigt einen Weg in die Zukunft der 24-Stunden-Betreuung auf: „Das österreichische Hausbetreuungsgesetz von 2007 könnte novelliert und die Beschäftigen z.B. auch beim jeweiligen Bundesland angestellt werden, um diesen Sektor weiter zu formalisieren und dieQualität der Pflegetätigkeit dadurch entweder von offiziellen Trägern oder dem Land selbst zu garantieren und die Scheinselbständigkeit zu beseitigen.“ Gleichzeitig wären diese Maßnahmen geeignet, Niedriglöhne anzuheben und den Pflegesektor insgesamt attraktiver zu machen, um das Lohngefälle und die Armutsgefährdung vor allem von Frauen zu beseitigen. So könnten Pflegeberufe insgesamt eine Aufwertung erfahren, sodass auch (neu angeworbene) Arbeitnehmer*innen und die Gesamtbevölkerung und alle in Österreich lebenden Personen davon profitieren und die weiterhin drohende Unterversorgung in der Pflege aufgrund der demographischen Entwicklung jetzt sofort und bis 2030 bereits abfedern.

Höhere Einkommen und durchgängige Beschäftigung
Aber auch dann, wenn die Beschäftigten in einem Dienstverhältnis angestellt und voll versichert sind, wird ihnen in manchen Branchen ein für sie schwer zu tragender Teil der Risiken überlassen. Überall dort, wie in vielen Teilen des Tourismus, des Gastgewerbes und des Bauwesens, wo rasch gekündigt wird, sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Leidtragenden des „flexiblen“ Arbeitsmarktes. Auch bei niedrigen Löhnen und Gehältern, wie etwa im Handel oder in der Gebäudereinigung, bedeutet Arbeit zu haben nicht immer sicheren Schutz vor Armut. Dafür braucht es höhere Einkommen und durchgängige Beschäftigung. „Gerade die vielen Berufe, die jetzt als systemrelevant hervorgehoben werden, brauchen eine Aufwertung und eine ausreichende Abgeltung der tatsächlichen Arbeitsleistungen“, stellt Stefanie Wöhl klar. Gerade die Leistungen von Frauen als Pflegepersonen und der vielen notwendigen EU-Arbeitsmigranten und -migrantinnen als Stützen der Gesellschaft sollten in einer Arbeitswelt der Zukunft entsprechend honoriert werden.