Arbeitslosigkeit und ihre psychosozialen Auswirkungen aus wissenschaftlicher Perspektive: Veränderungen des psychischen Wohlbefindens, geschlechter-spezifische Effekte und der Einfluss entscheidender Gesundheitsfaktoren
Expert*innen
Brendan J. Burchell (Universität Cambridge | Magdalene College)
Bernhard Kittel (Universität Wien)
Karsten Paul (FAU Erlangen-Nürnberg
Thomas Resch (Universität Wien)
Andrea Zechmann (FAU Erlangen-Nürnberg)
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Pressemitteilung
01. März 2021
Die Arbeitslosigkeit befindet sich aufgrund der Corona-Pandemie auf einem Rekord-Hoch und es ist noch kein Rückgang abzusehen. Es besteht die Gefahr, dass viele der Betroffenen in die Langzeitarbeitslosigkeit schlittern. Mit dem Einsatz der Kurzarbeit versucht die Regierung, die Menschen vor der gefürchteten Kündigung zu schützen. Doch wie lange wird dieser Rettungsschirm noch halten? Wie geht es den Menschen, die aufgrund der Pandemie ihren Arbeitsplatz verloren haben? Die psychischen Langzeitfolgen werden Teile der Gesellschaft möglicherweise noch lange begleiten.
Dramatische Aspekte von Arbeitslosigkeit
Die Forschung zeigt, dass Arbeitslosigkeit schon vor den Zeiten der Covid-19-Pandemie höchst problematische Auswirkungen hatte. Der Wirtschafts- und Sozialpsychologe Karsten Paul und seine Kollegin Andrea Zechmann von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg beziehen sich auf das Deprivationsmodell der österreichischen Sozialpsychologin Marie Jahoda, das eine wichtige Basis für ihre Forschungen bildet.
Paul und Zechmann betonen, dass Arbeitslosigkeit zu charakteristischen Veränderungen im Leben der Betroffenen führt, die sich wiederum negativ auf das psychische Wohlbefinden auswirken. Sie beschreiben die Indikatoren folgendermaßen: Arbeitslos zu sein bedeutet, weniger aktiv zu sein, da die Arbeitsaufgaben entfallen. Berufliche Termine fallen ebenfalls weg, was zu einem Verlust der gewohnten Zeitstruktur führt. Zudem fehlt der Kontakt zu anderen Menschen, wie Kolleg*innen oder Kund*innen, und der gesellschaftliche Status sinkt. Auch kommt es zum Verlust des Gefühls, einen positiven Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, für andere nützlich zu sein. Und schließlich fehlt die Bewältigung von Herausforderungen, man kann plötzlich die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen nicht mehr einsetzen. All diese, von Arbeitslosigkeit verursachten, Veränderungen wirken seelisch belastend.
Geschlechterspezifische Auswirkungen von Arbeitslosigkeit im Zuge der SARS-CoV-2-Pandemie
Der Wirtschaftssoziologe und Professor am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien, Bernhard Kittel ist seit knapp einem Jahr Projektleiter des Austrian Corona Panel Projects (ACPP) und erforscht gemeinsam mit dem Wirtschaftssoziologen Thomas Resch die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit seit Ausbruch der Pandemie.
Kittel und Resch zeigen insbesondere die unterschiedlichen Auswirkungen auf Frauen und Männer auf: „Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und der Maßnahmen zu deren Bekämpfung haben Frauen schwerer getroffen als Männer“, so Kittel. Thomas Resch ergänzt, dass „Frauen die negativen psychischen Auswirkungen der Corona-Krise stärker spüren als Männer.“
In der ersten Phase der SARS-CoV-2-Pandemie von März bis Juli 2020 waren Frauen in Österreich stärker von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit betroffen als Männer. Nach Daten des Austrian Corona Panel Projects waren im April 2020 27,4% der Frauen, die im Februar 2020 – also vor dem ersten Lockdown – beschäftigt waren, in Kurzarbeit und 7,3% arbeitslos. Für Männer sind die Vergleichswerte 23,1% in Kurzarbeit und 4,8% arbeitslos. Im Juli lagen die Werte bei der Kurzarbeit mit 19,9% der befragten Frauen und 19,4% der Männer nahezu gleichauf, aber die Arbeitslosigkeit von Frauen verharrte bei 7,0%, während sie bei Männern auf 3,2% zurückgegangen war. Dies bedeutet, dass Frauen länger arbeitslos waren als Männer. Darüber hinaus sank das psychische Wohlbefinden von Frauen, gemessen als umgekehrter Index des Depressionsrisikos, stärker als jenes von Männern. Bezogen auf die Gesamtperiode April-Juli 2020 summiert sich dieser Effekt im Durchschnitt auf 3,4 Punkte auf einer Skala 0-100 im Vergleich zu Männern.
Sinnvolle Arbeit als Gesundheitsfaktor für die Psyche
Vollbeschäftigung rückt aufgrund anhaltend geringer Wachstumsraten, der Verdichtung von Arbeit und technologischer Rationalisierung in weite Ferne. Deshalb geht Burchell davon aus, „dass die Politik gefordert ist, neue Beschäftigungsmodelle zu entwickeln, die den Menschen trotzdem weiterhin sinnvolle Tätigkeiten ermöglichen, um ihre psychische Gesundheit zu erhalten.“ Hier könnte eine Umverteilung der Arbeitszeiten bzw. eine Arbeitszeitverkürzung für alle Beschäftigten einen wesentlichen Beitrag für die Gesundheit der Bevölkerung leisten, so Burchell.
Literaturverweise:
Andrea Zechmann, Karsten Ingmar Paul (2019): „Why do individuals suffer during unemployment? Analyzing the role of deprived psychological needs in a six-wave longitudinal study“, Journal of Occupational Health Psychology, 24(6), 641–661.
Bernhard Kittel, Thomas Resch (2020): „Erwerbsverläufe und psychisches Wohlbefinden während der SARS-CoV-2-Pandemie in Österreich“, WuG /46. Jahrgang, Heft 4
Daiga Kamerāde, Ursula Balderson, Brendan Burchell, Senhu Wang and Adam Coutts (2020): „Shorter Working Week and Workers Wellbeing and mental health“; Centre for Business Research, University of Cambridge, Working Paper No. 522