Kurzarbeit und Arbeitszeitverkürzung
Nadia Steiber (Uni Wien)
Bettina Stadler (FORBA)
Erwerbsverläufe in der Pandemie: Soziale Ungleichheit in der Betroffenheit von und den Erfahrungen mit Kurzarbeit
Die COVID-19 Pandemie hat zu erheblichen Verwerfungen am Arbeitsmarkt geführt. Nadia Steiber von der Uni Wien hat die Dynamik am Arbeitsmarkt zwischen Februar 2020 und Juni 2021 untersucht. Anhand der aktuell verfügbaren Informationen aus den Registerdaten (AMDB) hat sie die Erwerbsverläufe der unselbständig Beschäftigten in diesem Zeitraum analysiert. Sie stellte sich u.a. die Frage, welche Bevölkerungsgruppen besonders stark von pandemiebedingter Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit betroffen waren (nach Geschlecht, Alter, Migrationshintergrund bzw. Mutterschaft (Vogtenhuber et al. 2021). Die Daten zeigen, dass 27% der rund 3,6 Millionen Beschäftigten des Februar 2020 im April 2020 in Kurzarbeit waren und rund 5,2% arbeitslos wurden. Nach Rückkehr vieler Kurzarbeiter*innen in die reguläre Beschäftigung seien im Juni 2021 noch 2,9% der unselbständig Beschäftigten des Februar 2020 in Kurzarbeit und etwa 3,5% arbeitslos registriert gewesen. In den Erwerbsverläufen zeigen sich Steiber zufolge geringe Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Auch Mütter seien im Durchschnitt nicht stärker von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit betroffen gewesen (unabhängig vom Alter der Kinder). Junge Menschen und Lehrlinge waren besonders häufig in Kurzarbeit. Rund 43% der 15- bis 19-jährigen Männer und 46% der jungen Frauen, die im Februar 2020 unselbständig beschäftig (inkl. Lehre) waren, wurden bis Juni 2021 zumindest einmal zu Corona-Kurzarbeit angemeldet. Besonders stark von Arbeitslosigkeit sei die Gruppe der 20- bis 24-Jährigen gewesen.
Mit Blick auf die Auswirkungen der Kurzarbeit auf die Qualität der Arbeit, zeigt sich Steiber zufolge ein sehr heterogenes Bild. Während insgesamt ein Rückgang der Jobsicherheit, der betrieblichen Mitbestimmung und der Weiterbildung zu beobachten sei, seien die Erfahrungen hinsichtlich der intrinsischen Arbeitsqualität sehr vielfältig. Das gelte für den Arbeitsdruck, die breite des Aufgabenfeldes sowie Arbeitsautonomie und Verantwortung. Bei einem Maßgeblichen Teil der Kurzarbeiter*innen kam es jedoch zu einem Downgrading der Arbeitsinhalte. Befragungen zu Qualifikationsniveau/Tätigkeitsprofil haben ergeben, dass Frauen (18%) und junge Erwerbstätigen zwischen 20 und 29 Jahren (24%) ein besonders hohes Risiko hatten, während der Kurzarbeit weniger interessante oder qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt zu haben. Unter jenen, die 2020 in Kurzarbeit waren, im Jänner 2021 jedoch wieder in regulärer Beschäftigung gaben ca. 13% an, dass ihr Job vor dem Eintritt in die Kurzarbeit interessanter war, bei den Jungen war es ein Fünftel. Dies weise darauf hin, dass Kurzarbeit längerfristig negative Auswirkungen auf die Jobqualität haben könnte. Einer drohenden Dequalifizierung könnte Steiber zufolge mit einer kompensatorischen staatlichen Qualifizierungsoffensive zu entgegnet werden.
Quellen:
Steiber, Nadia (2021): Vortrag: Erwerbsverläufe in der Pandemie: Soziale Ungleichheit in der Betroffenheit von und den Erfahrungen mit Kurzarbeit, URL: https://www.soz.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/i_soziologie/4_Veranstaltungen/4.0_Veranstaltungen/2021/Reformbedarf_am_Arbeitsmarkt/steiber-converted.mp4, zuletzt abgerufen am 11.02.2022
Steiber, N. & Siegert, Ch. & Vogtenhuber, S. (2021): Die Erwerbssituation und subjektive finanzielle Lage privater Haushalte im Verlauf der Pandemie. Materialien zu Wirtschaft und Gesellschaft Nr. 222.
Arbeitszeitverkürzung: was lehrt die betriebliche Praxis?
In den letzten Jahren wird wieder vermehrt über die Vor- und Nachteile einer Arbeitszeitreduktion diskutiert. Bettina Stadler von der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) befasst mit dieser Entwicklung. Obwohl sehr viele Argumente für eine Verkürzung der Arbeitszeit sprechen sei seit den 1980er Jahren im politischen Feld nur wenig Bewegung in Richtung kürzerer Arbeitszeiten erkennbar. Zugleich sei in den statistischen Daten über Arbeitszeiten schon seit längerem eine stete Verkürzung der tatsächlichen Arbeitszeiten zu sehen. „In Österreich findet also eine Arbeitszeitverkürzung statt, die sich die Beschäftigten selbst zahlen, vor allem Frauen in Teilzeit“, sagt Stadler. In Summe würden sich Vollzeitbeschäftigte weiterhin eher kürzere Arbeitszeiten und Teilzeitbeschäftigte, besonders Frauen in Niedriglohnbranchen, längere Arbeitszeiten wünschen. Näher betrachtet erweisen sich die konkreten, betrieblichen Arbeitszeitrealitäten als sehr heterogen. Dies zeigen von FORBA durchgeführte Betriebsfallstudien (Astleithner & Stadler, 2021). Prägend wirken Stadler zufolge vor allem Branchenkulturen aber auch die spezifische Situation in einzelnen Unternehmen. Während im untersuchten Sozialwirtschaftsunternehmen und im ländlichen Textilproduktions- und Handelsbetrieb versucht werde, den MitarbeiterInnen möglichst viel Gestaltungsmöglichkeiten bei ihren Arbeitszeiten zu geben und viele Beschäftigte lange, existenzsichernde Teilzeitmodelle haben, scheine für Beschäftigte im IT-Unternehmen klar begrenzte Arbeitszeit im Rahmen einer normalen Vollzeitanstellung ein Wunsch, der in der Praxis nicht realisierbar sei. Die Beschäftigten würden zwar die Belastungen durch die langen Arbeitszeiten beklagen, diese aber eher als unumgängliches Merkmal der Branche denn als etwas Gestaltbares betrachten. Das für die Studie ausgewählte Handelsunternehmen hingegen zeige, wie sehr Teilzeitarbeitskräfte systematisch zur flexiblen Abdeckung der langen Öffnungszeiten herangezogen werde. Dass in der Branche über Arbeitskräftemangel geklagt wird, während MitarbeiterInnen ihre Arbeitszeit aufstocken möchten, verdeutlichte dieses Muster.
Quellen:
Stadler, Bettina (2021): Vortrag: „Arbeitszeitverkürzung: was lehrt die betriebliche Praxis?“, URL: https://www.soz.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/i_soziologie/4_Veranstaltungen/4.0_Veranstaltungen/2021/Reformbedarf_am_Arbeitsmarkt/stadler-converted.mp4
De Spiegelaere, Stan De; Piasna, Agnieszka (2017): The why and how of working time reduction, European Trade Union Institute
Flecker, Jörg; Altraiter, Carina (2014): Warum eine Arbeitszeitverkürzung sinnvoll ist, In: WISO 37/3, 15-28
Statistik Austria (2021): Arbeitszeit, URL: https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/arbeitsmarkt/arbeitszeit/index.html, Zuletzt abgerufen am 02.02.2021
Astleithner, Franz; Stadler, Bettina (2021): Möglichkeiten der Arbeitszeitverkürzung: Beispiele aus der Praxis, in: WISO, Vol. 3, S. 53–80
Stadler, Bettina (2021): Arbeitszeitverkürzung in österreichischen Kollektivverträgen. Status quo und Perspektiven, In: Müller, Martin, Reiff, Charlotte (Hrsg.): Arbeitszeit, Wien: Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, S. 71–91