Klimapolitik von unten: Große Delegation der indigenen Zapatistas besuchte Österreich (Presseaussendung, 12.11.2021)
Expert*innen
Univ.-Prof. Dr. Ulrich Brand (Universität Wien)
Lorena E. Olarte, MA ()
PD Dr. Jens Kastner (Akademie der Bildenden Künste Wien)
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Beitragsbild: Julian Stallabrass aus London, UK, CC BY 2.0. Lizenz: <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia Commons
Pressemitteilung
Klimapolitik von unten: Große Delegation der indigenen Zapatistas besuchte Österreich
[Wien, 12.11.2021] Die indigene Bewegung der Zapatistas im mexikanischen Bundesstaat Chiapas gibt es seit fast drei Jahrzehnten. Sie hat neue Modelle basisdemokratischer Organisierung erprobt und eigene Bildungs- und Gesundheitsstrukturen aufgebaut. Mit anderen indigenen Bewegungen gelten die Zapatistas als Vorbild für einen nicht-zerstörerischen Umgang mit der Natur, was in Zeiten der Klimakrise von existenzieller Bedeutung ist. In den letzten Wochen besuchte eine große Delegation Österreich und von dort aus andere Länder Europas.
„Die zapatistische Bewegung gehört zu den global einflussreichsten sozialen Bewegungen der letzten 30 Jahre. Die globalisierungskritischen Proteste seit Ende der 1990er Jahre wurden von ihr ebenso angestoßen wie viele gesellschaftspolitische und wissenschaftliche Diskurse: Allen voran wurde der Begriff `Neoliberalismus´ erst durch die zapatistische Kritik an dieser Phase des Kapitalismus populär“, so Dr. Jens Kastner, Soziologe und Kunsthistoriker von der Akademie der bildenden Künste Wien, der sich seit vielen Jahren wissenschaftlich mit dem Zapatistas befasst.
Die Zapatistische Armee der nationalen Befreiung (EZLN in der spanischen Abkürzung) erreichte am 1. Jänner 1994 mit der kurzzeitigen Besetzung der Stadt San Cristóbal de las Casas im mexikanischen Chiapas weltweite Aufmerksamkeit. Seit dem Aufstand haben sich die Lebensverhältnisse der Menschen auf dem von der EZLN kontrollierten Territorium grundlegend verbessert und es wurden basisdemokratische Strukturen geschaffen. „Dabei steht nicht nur der Kampf der Indigenen im Vordergrund, sondern die Zapatistas sehen sich als Teil eines umfassenden Kampfes gegen die kapitalistische Zerstörung der Umwelt, die Ausbeutung von Menschen, wie sie in den Ländern des globalen Südens und dort in den peripheren Regionen besonders drastisch ist,“ so Univ.-Prof. Dr. Ulrich Brand, Leiter der Forschungsgruppe Lateinamerika am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.
„Das Politikverständnis der Zapatistas unterscheidet sich deutlich von früheren avantgardistischen Guerilla- und Parteikonzepten innerhalb der Linken. Die Zapatistas stehen nicht nur für Kritik am Kapitalismus, sondern“, so Lorena E. Olarte vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien, „auch für eine große Offenheit und Lernfähigkeit. Das ist angesichts der großen Ungewissheit, wie sich die Welt künftig entwickelt, wichtig. Und genau davon können wir in Zeiten sich verschärfender ökologischer und wirtschaftlicher Krisen lernen.“
Die Zapatistas setzen sich aktuell besonders gegen die Umsetzung infrastruktureller Großprojekte wie den Tren Maya (Maya Zug) ein. Dr. Kastner von der Akademie der bildenden Künste sagt: „Im Zuge dieses von der mexikanischen Regierung forcierten Projektes soll eine Verkehrs-Schneise durch den Urwald gezogen werden. Das geschieht vorgeblich, um den Tourismus in die strukturschwache Region des mexikanischen Südens zu bringen und damit wirtschaftlichen Aufschwung voranzutreiben. Die ökologischen Folgen für die von hoher Biodiversität gekennzeichneten Gebiete sind schwerwiegend.“
Die Politikwissenschaftlerin Olarte forscht zu Umweltkonflikten in Mexiko und nennt weitere Beispiele für von Indigenen geführte Auseinandersetzungen. „Auf der Halbinsel Yucatán hat eine von Frauen geführte Koalition von Maya-Völkern gegen die Bedrohung durch die Agrarindustrie (insbesondere durch die Firma Monsanto) Rechtsschutz gegen den Anbau von transgenem Mais und den Einsatz von Glyphosat erlangt.“
Professor Brand, der einige Jahre zum Thema biologische Vielfalt auch in Chiapas forschte, stellt die Erfahrungen in Ländern wie Mexiko in einen breiteren Kontext: „Wenn zum Schutz des Klimas die großflächige Aufforstung oder die Beschaffung von Lithium für Elektro-Autos in Ländern des Südens erfolgen, dann werden die damit einhergehenden Konflikte gerade in ländlichen Regionen oft negiert. Gerade in Mexiko hat der Bergbau in den letzten Jahren stark zugenommen und damit etwa Vertreibungen von Menschen. Daher müssten solche Erfahrungen und Stimmen viel stärker auf internationalen Konferenzen wie der nun laufenden Klimakonferenz in Glasgow berücksichtigt werden.“