Sozialpsychologische Auswirkungen von Arbeitslosigkeit
Von:
Brendan J. Burchell (Universität Cambridge | Magdalene College)
Bernhard Kittel (Universität Wien)
Karsten Paul (FAU Erlangen-Nürnberg
Thomas Resch (Universität Wien)
Andrea Zechmann (FAU Erlangen-Nürnberg)
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Die Arbeitslosigkeit befindet sich aufgrund der Corona-Pandemie auf einem Rekord-Hoch und es ist noch kein Rückgang abzusehen. Es besteht die Gefahr, dass viele der Betroffenen in die Langzeitarbeitslosigkeit schlittern. Mit dem Einsatz der Kurzarbeit versucht die Regierung, die Menschen vor Kündigung zu schützen. Doch wie lange wird dieser Rettungsschirm noch halten? Wie geht es den Menschen, die aufgrund der Pandemie ihren Arbeitsplatz verloren haben? Die Langzeitfolgen werden Teile der Gesellschaft möglicherweise noch lange begleiten.
Dramatische Aspekte von Arbeitslosigkeit
Die Forschung zeigt, dass Arbeitslosigkeit schon vor den Zeiten der Covid-19-Pandemie höchst problematische Auswirkungen hatte. Der Wirtschafts- und Sozialpsychologe Karsten Paul und seine Kollegin Andrea Zechmann von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg beziehen sich auf das Deprivationsmodell der österreichischen Sozialpsychologin Marie Jahoda, das eine wichtige Basis für ihre Forschungen bildet.
Paul und Zechmann betonen, dass Arbeitslosigkeit zu charakteristischen Veränderungen im Leben der Betroffenen führt, die sich wiederum negativ auf das psychische Wohlbefinden auswirken. Sie beschreiben die Indikatoren folgendermaßen: Arbeitslos zu sein bedeutet, weniger aktiv zu sein, da die Arbeitsaufgaben entfallen. Berufliche Termine fallen ebenfalls weg, was zu einem Verlust der gewohnten Zeitstruktur führt. Zudem fehlt der Kontakt zu anderen Menschen, wie Kolleg*innen oder Kund*innen, und der gesellschaftliche Status sinkt. Auch kommt es zum Verlust des Gefühls, einen positiven Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, für andere nützlich zu sein. Und schließlich fehlt die Bewältigung von Herausforderungen, man kann plötzlich die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen nicht mehr einsetzen. All diese, von Arbeitslosigkeit verursachten, Veränderungen bedrohen das Selbstwertgefühl und die Identität der Betroffen. .
Geschlechterspezifische Auswirkungen von Arbeitslosigkeit im Zuge der SARS-CoV-2-Pandemie
Der Wirtschaftssoziologe und Professor am Institut für Wirtschaftssoziologie der Universität Wien, Bernhard Kittel ist seit knapp einem Jahr Projektleiter des Austrian Corona Panel Projects (ACPP) und erforscht gemeinsam mit dem Wirtschaftssoziologen Thomas Resch die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit seit Ausbruch der Pandemie.
Kittel und Resch zeigen insbesondere die unterschiedlichen Auswirkungen auf Frauen und Männer auf: „Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie und der Maßnahmen zu deren Bekämpfung haben Frauen schwerer getroffen als Männer“, so Kittel. Thomas Resch ergänzt, dass „Frauen die negativen psychischen Auswirkungen der Corona-Krise stärker spüren als Männer.“
In der ersten Phase der SARS-CoV-2-Pandemie von März bis Juli 2020 waren Frauen in Österreich stärker von Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit betroffen als Männer. Nach Daten des Austrian Corona Panel Projects waren im April 2020 27,4% der Frauen, die im Februar 2020 – also vor dem ersten Lockdown – beschäftigt waren, in Kurzarbeit und 7,3% arbeitslos. Für Männer sind die Vergleichswerte 23,1% in Kurzarbeit und 4,8% arbeitslos. Im Juli lagen die Werte bei der Kurzarbeit mit 19,9% der befragten Frauen und 19,4% der Männer nahezu gleichauf, aber die Arbeitslosigkeit von Frauen verharrte bei 7,0%, während sie bei Männern auf 3,2% zurückgegangen war. Dies bedeutet, dass Frauen länger arbeitslos waren als Männer. Darüber hinaus sank das psychische Wohlbefinden von Frauen, gemessen als umgekehrter Index des Depressionsrisikos, stärker als jenes von Männern.
Sinnvolle Arbeit als Gesundheitsfaktor für die Psyche
Brendan Burchell, Professor an der Fakultät für Human-, Sozial- und Politikwissenschaft der Universität Cambridge und Professor am Magdalene College, zeigt auf, wie wichtig Erwerbsarbeit für die psychische Gesundheit ist. Er und sein Forschungsteam erfassten dafür die Wirkungen der Aufnahme einer Beschäftigung, nachdem Personen erwerbsarbeitslos waren.
Das Risiko für psychische Gesundheitsprobleme verringerte sich um durchschnittlich 30 Prozent, wenn Menschen aus der Arbeitslosigkeit in eine bezahlte Arbeit von acht Stunden pro Woche wechselten. Burchell fügt aber hinzu, dass ein wichtiger Schritt der Untersuchung darin bestand, die Bedeutung der Qualität der Arbeitsplätze für die psychische Gesundheit der Arbeitnehmer*innen zu untersuchen. Aus der Umfrage geht eindeutig hervor, dass es nicht nur darum geht einen Job auszuüben, sondern dass es für die psychische Gesundheit von enormer Bedeutung ist, einen für die Menschen selbst sinnvollen Job auszuüben.
Vollbeschäftigung rückt aufgrund anhaltend geringer Wachstumsraten, der Verdichtung von Arbeit und technologischer Rationalisierung in weite Ferne. Deshalb geht Burchell davon aus, „dass die Politik gefordert ist, neue Beschäftigungsmodelle zu entwickeln, die den Menschen trotzdem weiterhin sinnvolle Tätigkeiten ermöglichen, um ihre psychische Gesundheit zu erhalten.“ Hier könnte eine Umverteilung der Arbeitszeiten bzw. eine Arbeitszeitverkürzung für alle Beschäftigten einen wesentlichen Beitrag für die Gesundheit der Bevölkerung leisten, so Burchell.
Literaturverweise
Andrea Zechmann, Karsten Ingmar Paul (2019): „Why do individuals suffer during unemployment? Analyzing the role of deprived psychological needs in a six-wave longitudinal study“, Journal of Occupational Health Psychology, 24(6), 641–661.
Bernhard Kittel, Thomas Resch (2020): „Erwerbsverläufe und psychisches Wohlbefinden während der SARS-CoV-2-Pandemie in Österreich“, WuG /46. Jahrgang, Heft 4
Daiga Kamerāde, Ursula Balderson, Brendan Burchell, Senhu Wang and Adam Coutts (2020): „Shorter Working Week and Workers Wellbeing and mental health“; Centre for Business Research, University of Cambridge, Working Paper No. 522