Diffamierung und Kriminalisierung von Klimaaktivist:innen ist der falsche Weg (Presseaussendung, 21.04.2023)
Expert*innen
Anika Bausch, MA (Uni Klagenfurt / Scientists for Future)
Dipl. Ing. Dr. Alexander Behr (Uni Wien / Diskurs. Das Wissenschaftsnetz)
Danyal Maneka, MA (Uni Wien / Diskurs. Das Wissenschaftsnetz)
Markus Palzer-Khomenko, MSc (Climate Lab / Scientists for Future)
Weitere Informationen zu den Expert*innen finden Sie im PDF.
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Danyal Maneka, MA
Diskurs. Das Wissenschaftsnetz
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Pressemitteilung
21. April 2023
Anlässlich des Tags der Erde am 22. April appellieren Wissenschafter:innen im Rahmen einer Presseaussendung von „Diskurs. Das Wissenschaftsnetz“ an die politisch Verantwortlichen, Klimaschützer:innen nicht weiter zu kriminalisieren und zu einer sachlichen Debatte beizutragen. Gebot der Stunde sei es, die legitimen Forderung der Klimaschützer:innen ernst zu nehmen und endlich wirksame Maßnahmen zu setzen, um die selbstauferlegten Klimaziele noch erreichen zu können.
Klimakrise erfordert drastische Maßnahmen
Vor genau einem Monat hat der Weltklimarat (IPCC) seinen neuesten Synthesebericht veröffentlicht. Er lässt keinen Zweifel darüber offen, dass drastische Maßnahmen nötig sind, um ein zeitgerechtes Umsteuern gegen die Erderhitzung zu ermöglichen. Seit der vorindustriellen Periode sind die Temperaturen bereits um 1,1 °C gestiegen. Bleibt die Klimapolitik auf ihrem jetzigen Kurs, steuern wir auf katastrophale 3,2 °C zu. Das Zeitfenster, um dies zu verhindern, schließt sich zusehends.
Als weitgehend gesichert gilt, dass die Erderhitzung die Lebensbedingungen auf dem Planeten radikal verändern wird und dass ihre negativen Folgen sehr ungleich verteilt sein werden, etwa zwischen Nord und Süd, Reich und Arm, Jung und Alt.[1] „Die himmelschreiende Ungerechtigkeit der Klimakrise besteht gerade darin, dass jene, die am wenigsten zur Verursachung der Krise beigetragen haben, am stärksten von ihr betroffen sein werden“, so der Wiener Politikwissenschafter Alexander Behr.
Österreich: Ein Nachzügler beim Klimaschutz trotz guter Voraussetzungen
Österreich hat sich im Rahmen des 2015 beschlossenen Übereinkommens von Paris dazu verpflichtet, einen Beitrag zu leisten, um den Temperaturanstieg bis zum Jahr 2100 auf unter 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Periode zu halten.[2] Jedoch war die Klimapolitik in Österreich nie zielorientiert gestaltet, weshalb die selbstauferlegten Ziele auch mehrmals verfehlt wurden.
„Österreich gilt oft als umweltpolitisches Musterland. Beim Klimaschutz bekommt dieses Bild jedoch grobe Risse. Relativ ambitionierte Ziele spiegeln sich nicht in der tatsächlichen Reduktion von Treibhausgasen wider“, so Danyal Maneka, Politikwissenschafter und Mitarbeiter im zweiten Sachstandsbericht Klimawandel in Österreich (AAR2)[3].
Dabei wären die Voraussetzungen für Klimaschutz gut: „Ein hoher Anteil von Wasserkraft am Strommix, ein hohes Wohlstandsniveau und eine hocheffiziente Industrie schaffen gute Ausgangsbedingungen für effektiven Klimaschutz. Anstatt Gründe für ein „Weiter so“ zu suchen, könnten wir Wege in eine nachhaltige Zukunft suchen und finden und die Chancen der Transformation nutzen“, so Markus Palzer-Khomenko von den Scientists for Future Österreich. Die österreichische Politik nützt diese Chancen bisher nicht ausreichend. So gibt es etwa in Österreich immer noch kein Klimaschutzgesetz.[4] Auch der Beitrag Österreichs zur internationalen Klimafinanzierung wird als viel zu gering eingeschätzt. Daran ändert auch die aktuelle Aufstockung um 160 Millionen Euro wenig[5]. „Österreich kommt seiner globalen Verantwortung im Klimaschutz nicht ausreichend nach“, so Anika Bausch von Scientists for Future.
Ziviler Ungehorsam als legitimes Mittel gegen den Status Quo
Vor dem diesem Hintergrund düsterer IPCC-Prognosen und unzureichender Gegenmaßnahmen fordern viele Menschen ein rasches Umlenken der Politik. So auch die Klimaschützer:innen von „Die letzte Generation“ und anderen Organisationen. Gezielte Verwaltungsübertretungen und punktuelle Rechtsbrüche in symbolträchtigen Bereichen setzen sie ein, um die Mächtigen im Land zum Zuhören und Handeln zu bewegen. Diese Mittel sind gewaltfrei und als legitime Akte zivilen Ungehorsams zu werten – ganz unabhängig davon, ob man die konkreten Aktionsformen als zielführend erachtet oder nicht.[6] „Ziviler Ungehorsam ist nicht nur legitim, sondern in manchen Situationen sogar geboten. Vieles, was wir heute als wichtige Errungenschaften feiern, wurde nicht zuletzt durch Akte des zivilen Ungehorsams erkämpft: das Frauenwahlrecht, das Ende der rassistischen Segregation und des Kolonialismus“, gibt Alexander Behr zu bedenken.
Zuhören und Handeln statt Eskalieren und Kriminalisieren
Dennoch werden Klimaschützer:innen für ihr Sichtbarmachen unbequemer Wahrheiten durch zivilen Ungehorsam seit Monaten durch verschiedene politische Akteure – darunter auch solche in Regierungsverantwortung – immer mehr diffamiert und sogar kriminalisiert. Gleichzeitig kommen die Regierenden ihren Pflichten in Sachen Klimaschutz weiterhin nicht ausreichend nach. „Anstatt weiter an der Eskalationsschraube zu drehen und gleichzeitig weiter auf der klimapolitischen Bremse zu stehen, sollte die Politik die Forderungen der Klimaschützer:innen ernst nehmen und endlich konsequente Schritte für den Klimaschutz setzten“, so Danyal Maneka abschließend.
Bemerkung
Mit ihrer Stellungnahme unterstützen die Wissenschafter:innen den aktuellen Aufruf „Handeln statt Kriminalisieren“[7], den bereits hunderte Personen aus der Wissenschaft unterzeichnet haben und der in einer Pressekonferenz am 21. April vorgestellt wird.
[1] https://www.de-ipcc.de/media/content/Hauptaussagen_AR6-SYR.pdf
[2] https://www.oesterreich.gv.at/themen/bauen_wohnen_und_umwelt/klimaschutz/1/Seite.1000325.html
[3] https://ccca.ac.at/wissenstransfer/apcc/aar2
[4] Nash. S.L /Steurer 2019: The Austrian Klimaschutzgesetz: Legislation of a climate laggard, for a climate laggard: https://www.ccca.ac.at/fileadmin/00_DokumenteHauptmenue/05_Veranstaltungen/Klimatag/2019/Nash___Steurer_KSG_in_AT_Klimatag_2019.pdf
Clar, C & Scherhaufer, P. 2022 : Klimapolitik auf Österreichisch: „Ja, aber…“, In Armutskonfernz/Attac/Beigewum (2023): Klimasoziale Politik, S. 31-41
[5] Berechnungen des Climate-Fairshares-Projekts gehen von 6,3 Milliarden Euro jährlich bis 2025 aus, was bis 2030 auf 7,8 Milliarden Euro ansteigen sollte. Letzteres wären knapp zwei Prozent des österreichischen Bruttoinlandsprodukts von 2019 https://www.derstandard.at/story/2000122125617/klimaschulden-warum-oesterreich-seine-emissionen-um-200-prozent-senken-muss
[6] https://protestinstitut.eu/wp-content/uploads/2023/04/WP_1.2023.pdf
[7] https://handeln-statt-kriminalisieren.com/