Alters- und Langzeitarbeitslosigkeit
Ingrid Mairhuber (FORBA)
Jörg Flecker (Uni Wien)
Hannah Quinz (Uni Wien)
Von den älteren Erwerbslosen ab 45 Jahren sind derzeit mehr als die Hälfte (genau 54%) länger als ein Jahr ohne Arbeit. Noch schwieriger ist die Situation der Arbeitssuchenden mit gesundheitlichen Einschränkungen: Bereits 6 von 10 (genau 62%) von ihnen sind langzeitbeschäftigungslos, suchen also schon über 12 Monate einen Job. In diesen Daten zeigt sich, dass Ältere und gesundheitlich Beeinträchtigte von Unternehmen diskriminiert werden. Nur 16% der Unternehmen stellten laut WIFO im Jahr 2017 Personen im Alter von über 50 Jahren ein und nur 13% solche mit gesundheitlichen Einschränkungen. Es stellt sich daher die Frage, welche Instrumente es gibt, um Alters- und Langzeitarbeitslosigkeit zu entgegnen.
Arbeitsmarktintegration und soziale Absicherung von älteren Frauen in Österreich
In rund zwei Jahren (2024) beginnt die schrittweise Anhebung des Frauen-pensionsalters von 60 auf 65 Jahre, aber bereits derzeit ist nur etwa jede zweite Frau (49,3%) direkt vor Pensionsantritt erwerbstätig, wie Ingrid Mairhuber von der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) zeigt. Mairhuber hat sich mit der Frage der Arbeitsmarktintegration und der sozialen Absicherung älterer Frauen in Österreich befasst. Viele ältere Frauen seien von Arbeitslosigkeit betroffen, selbst in den systemrelevanten Branchen. Ein Mangel an Arbeitsplätzen, gesundheitliche Einschränkungen, fehlende alternsgerechte Arbeitsbedingungen sowie jahrzehntelange Mehrfachbelastungen führen dazu, dass Frauen vor dem gesetzlichen Pensionsalter aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, so Mairhuber. Betriebe – wesentliche Akteure für eine längere Beschäftigung von Frauen – scheinen sich auf das steigende Pensionsalter noch nicht vorbereitet zu haben. Es bestehe daher die Gefahr, dass die Altersarbeitslosigkeit weiter steigt, wenn Frauen später in Pension gehen.
Mairhuber, die an einem Forschungsprojekt zu den Auswirkungen der Anhebung des Pensionsantrittsalters für Frauen mitgearbeitet hat (Mayrhuber et al 2021), konstatiert, dass die Arbeitsfähigkeit eine entscheidende Rolle für einen längeren Verbleib von Frauen am Arbeitsmarkt spielt. „Selbst Branchen mit Arbeitskräftemangel suchen Personal, dessen Gesundheitszustand gut bzw. dessen Arbeitsfähigkeit nicht (wesentlich) eingeschränkt ist.“ Stark belastende Arbeitsbedingungen über weite Strecken des Erwerbsverlaufes reduzieren die Arbeitsfähigkeit, besonders mit zunehmendem Alter. Dazu komme, dass Frauenbiografien in den meisten Fällen durch jahrzehntelange Doppel- und Dreifachbelastung gekennzeichnet sind. Dies trage ebenfalls zur Reduktion der Arbeitsfähigkeit bei und führe gleichzeitig zu einer schlechten Verankerung am Arbeitsmarkt. Beide Faktoren schränken die Arbeitsmarkchancen von Frauen auch im Alter stark ein.
Quelle:
Mayrhuber, Christine, Lutz, Hedwig; Mairhuber, Ingrid; Hellrigl, Elisa (2021): Erwerbsaustritt, Pensionsantritt und Anhebung des Frauenpensionsantrittsalters ab 2024. Potentielle Auswirkungen auf Frauen, Branchen und Betriebe, URL: https://www.forba.at/wp-content/uploads/2019/12/2021_Pensionsantritt_Wifo_Forba.pdf
Arbeitsplatzgarantie als ‚Rettung‘ aus der Langzeitarbeitslosigkeit?
Der starke Anstieg der Arbeitslosigkeit durch die Corona-Pandemie ab Frühjahr 2020 hat das schon länger bestehende Problem der Langzeitarbeitslosigkeit erheblich verschärft. Im April 2021 waren in Österreich 148.000 Personen als langzeitbeschäftigungslos registriert, im Oktober 2021 waren laut AMS bereits 42,5% aller Arbeitssuchenden langzeitbeschäftigungslos. „Durch die aktuelle Arbeitsmarktkrise hat sich das generelle Problem zugespitzt, dass der reguläre Arbeitsmarkt für viele, die auf Erwerbsarbeit angewiesen sind, nicht funktioniert“, erklärt Jörg Flecker von der Universität Wien. Betroffen seien insbesondere ältere Arbeitssuchende ab 45 Jahren, von denen nicht weniger als 54% laut AMS langzeitbeschäftigungslos sind. Der Anteil der langzeitbeschäftigungslosen Arbeitsuchenden mit sog. „gesundheitlichen Vermittlungshemmnissen“ lag im Oktober 2021 sogar bei 62% (AMS 2021). Die Arbeitskraftnachfrage der Unternehmen und Organisationen benachteilige also Personen mit bestimmten Merkmalen – einschließlich längerer Arbeitslosigkeit.
Zur Bewältigung dieses Arbeitsmarktproblems ersten Ranges werden den auf dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen Beschäftigungsmöglichkeiten am zweiten Arbeitsmarkt, also in sozio-ökonomischen Betrieben und gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten angeboten. Vor diesem Hintergrund wird aktuell die neue Maßnahme einer Arbeitsplatzgarantie diskutiert, die allen Langzeitarbeitslosen einer Region oder Gemeinde Beschäftigung anbietet. Derzeit erprobt das Arbeitsmarktservice Niederösterreich mit seinem Modellprojekt Arbeitsplatzgarantie Marienthal – kurz MAGMA – eine solche Jobgarantie. Das Forschungsprojekt „Marienthal.reversed“ an der Universität Wien begleitet das Projekt MAGMA mit einer Panelstudie im mixed-methods-Design. Erste Ergebnisse zeigen eine überraschende Vielfalt in der Gruppe der Teilnehmenden im Hinblick auf Geschlecht, Alter, Bildungsabschluss, Beruf und Dauer der Erwerbslosigkeit. Eine Gemeinsamkeit der meisten Teilnehmenden war, dass sie durch die anhaltende Arbeitslosigkeit in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind und sich durch das Projekt finanzielle Verbesserungen erwarten. Insgesamt haben die Beteiligten in der Erwerbslosigkeit einen hohen Leidensdruck erfahren, der über finanzielle und existenzielle Sorgen hinaus auch Stigmatisierungserfahrungen, den Verlust des Zeitgefühls, Monotonie, das Gefühl, „nichts geschafft zu haben“ sowie Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit umfasst.
Die Teilnehmenden schätzten MAGMA trotz anfänglicher Skepsis überwiegend positiv ein, wie Hannah Quinz von der Uni Wien, die die genannte Begleitstudie zusammen mit Jörg Flecker durchführt, herausstellt: „Die Aussicht auf den Arbeitsplatz bei Magma eröffnet für die Teilnehmer*innen neue Perspektiven, sie können neue Hoffnung schöpfen und wieder optimistisch in die Zukunft blicken“. Herausforderungen für MAGMA bestehe der Studie zufolge vor allem darin, den Teilnehmenden tatsächlich die erwarteten sinnvollen Tätigkeiten und die gewünschte Wertschätzung in der Gemeinde zu ermöglichen.
In den ersten Studienergebnissen zeige sich die Dringlichkeit eines Arbeitsplatzangebots abseits des regulären Arbeitsmarktes. Menschen können dadurch eine Alternative zu ihrer Situation der Langzeitarbeitslosigkeit bieten und deren negative Folgen mindern, betonen die Autor*innen. Eine Jobgarantie könne hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie Betroffenen eine Zukunftsperspektive gebe, ihnen eine Teilhabe am sozialen Leben ermögliche, ihre psychische Gesundheit fördere, ihnen ein Anerkennung, Wertschätzung und ein Autonomiegefühl zuteilwerden lasse. Zudem würde so eine Maßnahme helfen, die Ziele Armutsbekämpfung und Vollbeschäftigung zu realisieren.
Quellen:
AMS 2021: Arbeitsmarktdaten, URL: https://www.ams.at/arbeitsmarktdaten-und-medien/arbeitsmarkt-daten-und-arbeitsmarkt-forschung/arbeitsmarktdaten, zuletzt abgerufen am 09.02.2022
Flecker, Jörg; Quinz Hannah (2021): Arbeitsplatzgarantie als „Rettung“ aus der Langzeitarbeitslosigkeit?, Vortrag; URL: https://www.soz.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/i_soziologie/4_Veranstaltungen/4.0_Veranstaltungen/2021/Reformbedarf_am_Arbeitsmarkt/flecker_quinz-converted.mp4