Aktuelle Daten: Teuerung verschärft Armut von arbeitslosen Personen (Presseaussendung, 27.04.2023)

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Pressemitteilung 27. April 2023

Anlässlich des Tages der Arbeitslosen am 30. April melden sich Expert:innen der WU Wien und der Uni Wien zu Wort. Nicht nur sei die Zahl der Arbeitslosen nach wie vor hoch. Aktuelle Daten aus EU-SILC zeigen nun, dass aufgrund der Inflation deutlich mehr von ihnen als im Vorjahr von massiven Entbehrungen betroffen sind.

Tag der Arbeitslosen | Arbeitslosigkeit | Armut | Teuerung | Ältere | Gesundheit

 

Trotz starker Nachfrage nach Arbeitskräften suchen v.a. ältere und gesundheitlich beeinträchtigte Personen immer noch sehr lange nach einem Job. Die erwerbslosen Personen bekommen besonders zu spüren, dass die Teuerung die Folgen der Einkommensarmut verschärft hat. Gegenüber dem Vorjahr sind deutlich mehr von Deprivation betroffen, d.h. sie können sich viele notwendige Ausgaben nicht leisten. Das Risiko von Armut im Sinne von materieller und sozialer Deprivation ist bei Langzeitarbeitslosen sechs Mal so hoch wie im Durchschnitt der Erwerbsbevölkerung.

Arbeitslosigkeit ist nach wie vor ein großes Problem

Derzeit sind immer noch über 330.000 Personen beim AMS als arbeitsuchend gemeldet. Und trotz der hohen Nachfrage nach Arbeitskräften suchen fast 30% davon über ein Jahr nach einem Job, sind also langzeitbeschäftigungslos. Das sind aktuell in Österreich über 107.000 Personen. Besonders bei Personen über 45 Jahren und bei gesundheitlich beeinträchtigten Personen ist die Verweildauer in der Arbeitslosigkeit lang. Von den arbeitsuchenden Personen mit gesundheitlichen Vermittlungseinschränkungen waren im Februar 2023 nicht weniger als 46%, also fast die Hälfte, langzeitbeschäftigungslos.[1] Zugleich sind Personen umso häufiger und umso stärker von Armut betroffen, je länger sie Arbeit suchen.

Der Arbeitsmarktforscher Jörg Flecker von der Universität Wien merkt dazu an: „Unter dem Gesichtspunkt der Leistungsgerechtigkeit ist das besonders problematisch, weil es viele betrifft, die lange erwerbstätig waren, und auch diejenigen, die Arbeitsunfälle hatten oder durch die Arbeit krank geworden sind.“

Armut heute: Es wird zunehmend schwieriger, mit dem Einkommen auszukommen

Gerade sind neue Ergebnisse der jährlichen EU-SILC-Befragung zu Einkommen, Armut und Lebensbedingungen der Bevölkerung in Österreich veröffentlicht worden (Statistik Austria 2023). Die Armutsforscherin Karin Heitzmann von der WU Wien hat die Daten im Hinblick auf die Lage der Arbeitslosen analysiert. Sie betont: „Auf Grund der gegenwärtig hohen Inflation sind Ergebnisse besonders interessant, die Auskunft darüber geben, wie Menschen in Österreich mit ihrem Einkommen auskommen.“ Dafür wird anhand von 13 Indikatoren Armut in Sinne von materieller und sozialer Deprivation abgebildet. Diese reichen von unerwarteten höheren Ausgaben oder die Miete zahlen zu können bis zu kostenpflichtigen Freizeitaktivitäten (siehe Tabelle unten).

Eine materielle und soziale Deprivation liegt vor, wenn von diesen insgesamt 13 Merkmalen zumindest fünf zutreffen. Treffen mindestens sieben Merkmale zu, dann gilt man als erheblich sozial und materiell depriviert.

Die Zahl derjenigen, die im Jahr 2022 von Armut im Sinne von Deprivation betroffen waren, ist gegenüber 2021 tatsächlich stark gestiegen. Im Jahr 2021 waren etwa 386.000 Personen in der Gesamtbevölkerung sozial und materiell depriviert und 160.000 Personen erheblich sozial und materiell depriviert (Statistik Austria 2022, 85). Im Jahr 2022 hat sich ihre Anzahl um 20% bzw. 25% erhöht. Damit werden 2022  460.000 Personen als sozial und materiell depriviert und 201.000 Personen als erheblich sozial und materiell depriviert ausgewiesen (Statistik Austria 2023, 75). Karin Heitzmann dazu: „Das ist ein Zeichen dafür, dass das Einkommen im Hinblick auf die steigenden Ausgaben zunehmend knapp – und für viele zu knapp – wird.“

Arbeitslose besonders von materieller und sozialer Deprivation betroffen

Arbeitslose Menschen sind im Hinblick auf ihre finanziellen Ressourcen besonders eingeschränkt. Das zeigt sich in ihrer höheren Armutsgefährdungsquote im Vergleich zur gesamten Bevölkerung im Erwerbsalter, für die sie 13% beträgt. Je nach Dauer ihrer Arbeitslosigkeit sind 20% (bei einer Arbeitslosigkeitsdauer von maximal fünf Monaten), 36% (bei einer Arbeitslosigkeitsdauer von sechs bis elf Monaten) bzw. 42% (bei ganzjähriger Arbeitslosigkeit) von Einkommensarmut betroffen (Statistik Austria 2023, 73). Für Langzeitarbeitslose ist das Armutsgefährdungsrisiko [2]damit mehr als dreimal höher als im Bevölkerungsschnitt. 

Wie kommen die arbeitslosen Personen mit diesem niedrigen Einkommen aus? Eine Analyse der aktuellen Daten legt nahe, dass arbeitslose Personen im Hinblick auf alle (!) 13 Indikatoren schlechter abschneiden als der Durchschnitt der Bevölkerung im Erwerbsalter – und zwar unabhängig von der Länge ihrer Arbeitslosigkeit. Allerdings nimmt die finanzielle Prekarität mit der Dauer der Arbeitslosigkeit zu. Das zeigt sich vor allem bei der Gruppe der Langzeitarbeitslosen, deren Risiko, sozial oder materiell depriviert zu sein (also beim gleichzeitigen Zutreffen von mindestens fünf Deprivationsindikatoren), sechsmal höher ist als im Durchschnitt aller Erwerbspersonen. Bei Vorliegen von erheblicher sozialer oder materieller Deprivation (d.h. beim gleichzeitigen Zutreffen von mindestens sieben Deprivationsindikatoren) ist das Risiko immerhin noch fünfmal höher (vgl. Tabelle).

Wegen der zu niedrigen Einkommen und wegen der Teuerung können sich erwerbsarbeitslose Personen also notwendige Ausgaben sehr viel häufiger nicht leisten als andere Personen.

 

Materielle und soziale Deprivationsquoten (in %) von Personen im Erwerbsalter (18-64 Jahren), Österreich 2022

 

Personen im Erwerbsalter (18-64 Jahre)

Es ist finanziell nicht leistbar…

Insgesamt

Arbeitslos im Jahr 2021

Haushaltsebene

1 – 5 Monate

6 – 11 Monate

ganzjährig

       i.         unerwartete Ausgaben in der Höhe von €1.300 zu tätigen

20

35

45

58

     ii.         einmal pro Jahr Urlaub zu machen

13

23

33

46

    iii.         Miete, Betriebskosten oder Kredite pünktlich zu bezahlen

5

10

15

15

    iv.         jeden 2. Tag Fisch, Fleisch oder vegetarische Speise zu essen

5

9

(6)

21

     v.         die Wohnung angemessen warm zu halten

3

(6)

(6)

(11)

    vi.         abgenützte Möbel zu ersetzen

8

15

12

29

   vii.         ein Auto zu besitzen

5

11

18

28

Personenebene

 

 

 

 

       i.         eine zufriedenstellende Internetverbindung zu haben

1

(2)

(2)

(9)

     ii.         abgetragene Kleidung durch neue zu ersetzen

4

11

(9)

20

    iii.         mind. 2 Paar Schuhe zu besitzen

1

(2)

(2)

(5)

    iv.         Geld für eigenen Bedarf ausgeben

6

10

(11)

29

     v.         regelmäßig kostenpflichtige Freizeitaktivitäten auszuüben

9

17

26

44

    vi.         mind. einmal im Monat Freund:innen oder Familie zum Essen/Trinken zu treffen

4

8

(5)

21

Materielle und soziale Deprivation

(mind. 5 von 13)

5

12

17

32

Erhebliche materielle und soziale Deprivation

(mind. 7 von 13)

3

(7)

(6)

16

Quelle: Statistik Austria (2023, 43, 45, 47, 75); Zahlen in Klammern beruhen auf geringen Fallzahlen

 

Quellen

Statistik Austria (2022). Tabellenband EU-SILC 2021: Einkommen, Armut und Lebensbedingungen. Statistik Austria. Wien. Online verfügbar unter https://www.statistik.at/fileadmin/pages/338/Tabellenband_EUSILC_2021.pdf (abgerufen am 30.11.2022).

Statistik Austria (2023). Tabellenband EU-SILC 2022: Einkommen, Armut und Lebensbedingungen: . Statistik Austria. Wien. Online verfügbar unter https://www.statistik.at/fileadmin/pages/338/Tabellenband_EUSILC_2022.pdf.

[1] Quelle: Arbeitsmarktdatenbank, eigene Auswertungen.

[2] Laut Statistik Austria: „Als armutsgefährdet gelten in der EU jene Personen, deren äquivalisiertes (= bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-) Nettohaushaltseinkommen unter 60 % des Medians des äquivalisierten Nettohaushaltseinkommen des Landes liegt. Das war in Österreich laut EU-SILC 2021 ein Betrag von 1 371 Euro für Alleinlebende, plus 686 Euro für jeden weiteren Erwachsenen im Haushalt und 411 Euro für jedes Kind unter 14 Jahren (jew. pro Monat).“ (Statistik Austria 2022: https://www.statistik.at/fileadmin/announcement/2022/05/20220428EUSILC2021HJ1.pdf)