Aktuelle Forschung zeigt: Soziale Ungleichheit befeuert die Klimakrise (Presseaussendung, 09.02.2023)
Expert*innen
Jürgen Essletzbichler (WU Wien)
Xenia Miklin (WU Wien)
Hans Volmary (WU Wien)
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Pressemitteilung
Aktuelle Forschung zeigt: Soziale Ungleichheit befeuert die Klimakrise
Soziale und räumliche ungleich verteilte Emissionsmuster sind zu großen Teilen das Resultat von ungleicher Einkommens- und Vermögensverteilung
[Wien, 09.02.2023] Am 28. November letzten Jahres erschien der Sachstandsbericht („Special Report“) des Austrian Panel on Climate Change (APCC) „Strukturen für ein klimafreundliches Leben“. Im Bericht wird der Frage nachgegangen, wie Strukturen geschaffen werden können, die ein klimafreundliches Leben „für alle“ ermöglichen. Aufrufe zu nachhaltigem Konsum bzw. Appelle an die der Verantwortung Einzelner sollen so relativiert werden. Der Bericht umfasst eine Fülle verschiedenster Handlungsfelder – von Mobilität und Wohnen über Arbeit und Pflege bis zu Ernährung und Freizeit. Soziale und räumliche Ungleichheiten spielen in all diesen Handlungsfeldern eine Rolle, werden jedoch selten explizit adressiert. Deshalb widmen sich die Autor:innen Jürgen Essletzbichler, Xenia Miklin und Hans Volmary vom Department für Sozioökonomie auf der Wirtschaftsuniversität Wien dem Thema in einem eigenen Kapitel [1].
Im Kapitel 17 des Sachstandsberichtes arbeiten die Autor:innen heraus, inwiefern eine klimafreundliche Lebensführung mit sozialen und räumlichen Ungleichheiten in Verbindung steht. Anhand der beiden emissionsstärksten Sektoren in Österreich (Mobilität und Wohnen) werden konkrete Zusammenhänge und Handlungsoptionen aufgezeigt.
„Die Analyse der aktuellen nationalen und internationalen Fachliteratur ergibt, dass es grundsätzlich einen eindeutig positiven Zusammenhang zwischen Reichtum, Einkommen und Konsum und den daraus entstehenden CO2-Emissionen gibt“, so Xenia Miklin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Political Economy of Public Policy der Wirtschaftsuniversität Wien. Und weiter: „Konsum hat den mit Abstand größten Einfluss auf verschiedenste Umweltindikatoren, wohingegen der Einfluss anderer sozioökonomischer und demographischer Faktoren vergleichsweise klein ausfällt.“ Daraus lässt sich ableiten, dass die einkommens- und vermögensstärksten Haushalte für den Großteil der aktuellen und historischen Emissionen verantwortlich sind. Jürgen Essletzbichler, Vorstand des Departments für Sozioökonomie der WU Wien unterstreicht dies mit folgenden Zahlen: „Global verursachten die reichsten 10% in 2019 48% der gesamten Emissionen, das reichste Prozent fast 17%. Im Vergleich dazu verursachten die ärmsten 50% der Weltbevölkerung lediglich 12% der gesamten Emissionen“. Jedoch zeigt der Experte, dass es auch in Österreich erhebliche Ungleichheiten im Emissionsverhalten gibt: „in Österreich emittieren die reichsten 10% der Haushalte mehr als viermal so viel CO2 wie die ärmsten 10% der Haushalte und mehr als doppelt so viel CO2 wie der Medianhaushalt“ so Essletzbichler.
Neben der sozial ungleichen Verteilung der Emissionen, lassen sich auch wichtige räumliche Unterschiede erkennen. Jürgen Essletzbichler verweist in diesem Kontext auf das in diesem Kontext häufig besprochene Stadt-Land Gefälle. „Für Österreich lässt sich feststellen, dass die direkten Pro-Kopf-Emissionen in Städten am geringsten und in suburbanen Räumen am höchsten sind. Das liegt an der höheren Bevölkerungs-, Beschäftigungs-, Wohnungs- und Einzelhandelsdichte, dem effizienteren Straßendesign, kürzeren Arbeitswegen, der Existenz alternativer, öffentlicher Verkehrsmittel und einer anderen Bodennutzung in Städten“. Er verweist außerdem auf Unterschiede in Verteilungs- bzw. Einkommenseffekte von klimapolitischen Maßnahmen (z.B. CO2-Steuer) je nach Wohnort (urban vs. rural) und Einkommensgruppe.
Hans Volmary, Studienautor und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Multilevel Governance and Development der WU fasst die Zusammenhänge zwischen klima(un)freundlichem Handeln und sozialen und räumlichen Ungleichheiten folgendermaßen zusammen: „Einkommen und Wohnort sind die wichtigsten Faktoren, die Höhe und Zusammensetzung des Konsums und dadurch klimafreundliches Verhalten ermöglichen oder behindern. Dabei stellt der karbonintensive Konsum einkommens- und vermögensstarker Gruppen ein zunehmendes Problem bei der Bewältigung der Klimakrise dar. Hinzu kommt, dass klimaschützende Maßnahmen verschiedene Bevölkerungsgruppen in Abhängigkeit von Einkommen und Wohnort unterschiedlich stark belasten.“
Im Kapitel werden darauf aufbauend zwei konkrete, besonders emissionsstarke Sektoren besprochen, um diese Zusammenhänge anschaulich zu konkretisieren: Mobilität und Wohnen.
Der Bereich Mobilität ist mit 20% nach dem Bereich Wohnen und Energie für die zweitmeisten konsumbedingten CO2-Emissionen eines österreichischen Durchschnittshaushaltes verantwortlich [2]. Das Mobilitätsverhalten in Österreich unterscheidet sich nicht nur hinsichtlich sozioökonomischer, sondern auch hinsichtlich räumlicher Faktoren. So konzentrieren sich alternative Mobilitätsangebote vermehrt in urbanen Bereichen, wie Wien, wo knapp 40% der Bevölkerung ihre Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen – in peripheren Bezirken sind es hingegen nur 8%. Das spiegelt sich auch im Wahl der Verkehrsmittel wider: Der Anteil jener, welche ihre Wege per Pkw oder Motorrad zurücklegen, ist in peripheren Bezirken am höchsten (79%) und in Wien (33%) am niedrigsten. Die regionale Heterogenität im Mobilitätsverhalten lässt sich vor allem auf das unterschiedliche Angebot von ÖV-Dienstleistungen, sowie die jeweilige Siedlungsstruktur in urbanen und ländlichen Regionen zurückführen. So nimmt mit sinkender Bevölkerungsdichte (also in ländlichen Räumen), der Anteil an unzureichender ÖV-Versorgung signifikant zu.
Xenia Miklin dazu: „Die räumliche Ungleichheit im Zugang zu öffentlichen Verkehrsdienstleistungen ist eine der wesentlichen strukturellen Bedingungen, welche klimafreundliche Mobilität behindert.“ Sie konstatiert daher: „solange es keinen flächendeckenden und leistbaren Zugang zu klimafreundlicher Mobilitätsinfrastruktur gibt, kann diese (speziell am Land) auch keine Alternative zum PkW werden.“
Neben diesen räumlichen Ungleichheiten müssen auch sozioökonomische Unterschiede in der Verkehrsmittelwahl berücksichtigt werden. „Es zeigt sich zum Beispiel, dass im obersten Einkommensquartil knapp 90% einen Pkw, im untersten „nur“ 60% einen Pkw besitzen“ so Miklin. Kaum einkommensspezifische Unterschiede lassen sich hingegen beim Besitz einer Jahreskarte für öffentliche Verkehrsmittel feststellen. Je höher das Einkommen, desto besser auch die Abgasklasse von Pkws. Schlechter Verdienende können sich den Umstieg zu bessern Energie effizienteren E-Modellen oft nicht leisten. Auch die Wahl zwischen Flug- oder Bahnverkehr (speziell bei Urlaubs- oder Geschäftsreisen) unterscheidet sich je nach sozioökonomischer Gruppe: Besonders bei internationalen Reisen ist die ökologischere Zug-Alternative oftmals deutlich kosten- und zeitintensiver als die Reise mit dem Flugzeug.
Der Bereich Wohnen und Energie ist mit 22% für die meisten konsumbedingten CO2-Emissionen eines österreichischen Durchschnittshaushaltes verantwortlich [3]. Bereits vor dem Krieg in der Ukraine und der damit einhergehenden Energiekrise stellt der Sektor mit 24% des durchschnittlichen Wohnkostenanteils am Haushaltseinkommen jedoch auch den größten Ausgabenposten dar. Dieser ist jedoch extrem ungleich verteilt. Für einkommensschwache Haushalte beträgt er 44%, während er für einkommensstarke Haushalte lediglich 8% beträgt. „Während der Bereich Wohnen also für die meisten konsumbedingten CO2-Emissionen in Österreich verantwortlich ist, ist er gleichzeitig von massiven sozialen Ungleichheiten geprägt“ erklärt Hans Volmary. Die strukturellen Ungleichheitsbedingungen im Themenfeld Wohnen beziehen sich auf den Wohnort, die Wohnfläche und das jeweilige Heizsystem. Wie bereits erwähnt sind die Pro-Kopf Emissionen in Österreich in suburbanen Räumen am größten. Dies hängt unter anderem mit der dort vorherrschenden Form des Wohnens – dem Einfamilienhaus – zusammen. Der Heizaufwand ist hier deutlich größer und führt zu höheren Emissionen. Volmary verweist in diesem Zusammenhang jedoch erneut darauf: „dass es sich in diesen Räumen vor allem um einkommensstärkere Gruppen handelt, bei denen auch andere emissionsreiche Aktivitäten wie Urlaubsreisen eine wichtige Rolle spielen – es entstehen nicht nur räumlich, sondern auch sozial ungleich verteilte Emissionsmuster.“ Des Weiteren spielt das Heizsystem eine wichtige Rolle. Wie sich gezeigt hat, ist die Abhängigkeit von Gas als Heizquelle aus (geo-)politischen Gründen problematisch. Gleichzeitig stellt das Heizsystem in großen Wohnhäusern für Mieter:innen eine strukturelle Bedingung dar, die klimafreundliches Leben behindern kann. Denn diese haben auf die Wahl des Heizsystems in ihrem Haus und damit auf eine der wichtigsten Entscheidungen in Bezug auf eine klimafreundliche Lebensführung keinerlei Einfluss. Dieser Umstand hat in Österreich, wo knapp 43% der Bevölkerung zu Miete wohnen, eine besonders große Relevanz.
Vor diesem Hintergrund werden auf Basis der Studienlage Gestaltungsoptionen für den österreichischen Kontext aufgezeigt. Es wird darauf hingewiesen, dass es neben marktorientierten Lösungen wie der Bepreisung von CO2 oder der Einführung einer CO2-Steuer weitere Maßnahmen bräuchte. Dazu zählen technische Innovationen genauso wie ein grundlegendes Umdenken in Politik und Gesellschaft über Wohlstand, wie dieser zu beziffern und zu erreichen ist. Jürgen Essletzbichler zu möglichen Gestaltungsoptionen: „Unsere Studie zeigt, dass vor allem die Bereitstellung sozial-ökologischer Infrastrukturen eine besonders stark umverteilende Wirkung hat. Dazu gehört der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, öffentlicher Parks, klimafreundlichem sozialen Wohnbau und vieles mehr. Entscheidend ist jedoch, dass diese Investitionen in öffentliche Infrastruktur der breiten Masse in der Bevölkerung zugutekommt und sich nicht nur auf wohlhabende Gemeinden oder Stadtteile beschränkt.“
Abschließend lässt sich demnach festhalten, dass in Kapitel 17 des Sachstandsberichts betont wird, dass die Klimakrise nicht auf ein technisches Problem reduziert werden kann. Die notwendige Transformation kann nur gelingen, wenn sie ökologisch nachhaltig und sozial gerecht gestaltet wird. Die Erreichung politischer Mehrheiten und notwendiger Allianzen, verlangt demnach nach einem Verständnis darüber, wie die Auswirkungen einer sozial-ökologischen Transformation über alle Bevölkerungsgruppen gerecht verteilt werden können. Verteilungswirkungen und das Abfedern von Ungleichheiten spielen also eine wesentliche Rolle bei der Bewältigung der Klimakrise.
Literaturhinweise
[1] Essletzbichler, J., X. Miklin und H. Volmary (2023): Soziale und räumliche Ungleichheit. In: APCC Special Report: Strukturen für ein klimafreundliches Leben (APCC SR Klimafreundliches Leben) [Görg, C., V. Madner, A. Muhar, A. Novy, A. Posch, K. Steininger und E. Aigner (Hrsg.)]. Springer Spektrum: Berlin/Heidelberg.
[2] Chancel, L. (2022): Global Carbon Inequality over 1990-2019. Nature Sustainability 5, 391-398.
[3] Frascati, M. (2020): Klimaungerechtigkeit in Österreich. Eine Studie zur ungleichen Verteilung von CO2-Ausstoss nach Einkommensschichten. Greenpeace.